Wenn wir das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse sind, wie es Karl Marx schreibt, bzw. nicht jenseits des gesellschaftlichen Diskurses existieren, wie es Judith Butler zeigt, dann ergibt sich daraus ebenso, dass unsere Identitäten nicht unabhängig von den ökonomischen Verhältnissen existieren, wie dass ökonomische Verhältnisse nicht unberührt von Identitätspolitik zu denken sind. Identitätspolitik ist aber weit mehr als gendern: Als Mann patriarchale Privilegien nicht wahrnehmen zu wollen, ist Identitätspolitik; als Arbeiter*in nicht auf die Straße zu gehen, weil Deutschland in der Weltwirtschaft vorteilhaft da steht, ist Identitätspolitik. Auch der historische Blick zeigt, wie wesentlich Privilegiensicherung für unsere heutige Wirtschaftsordnung war und ist.
Doch guter Wille reicht nicht. Im Gegenteil: die strukturellen Zwänge des Kapitalismus gehen viel tiefer als dass sie auf Profitgier oder Konzernmacht zu reduzieren und damit zu korrigieren wären. Es ist die Marktwirtschaft an sich, die strukturelle Ungleichheit braucht; die Ausbeutung weit über die Mehrwertabschöpfung hinaus erzwingt und die, kurz gesagt, ein gutes Leben für alle, einschließlich unserer Mitwelt, in Theorie und Praxis unmöglich macht.
Entgegen der heutzutage wieder verstärkten Suche nach „dem“ revolutionären Subjekt oder der Erwartung eines zukünftigen revolutionären Bruchs ist nicht nur alles irgendwie miteinander verbunden, sondern eröffnet damit auch Veränderungsmöglichkeiten auf jeder Ebene: von Direkten Aktionen über politische Kampagnen bis hin zum Alltag und unseren eigenen Subjektivitäten. Nur die Richtung muss klar sein: weg von strukturellen Zwängen, hin zu einer Demokratisierung (nicht zuletzt als Ermächtigung unterdrückter Identitäten), die als Commonisierung auch materiell auf Inklusion statt Exklusion beruht.
Friederike Habermann: Overcoming Exploitation and Externalisation – An Intersectional Theory of Hegemony and Transformation. 116 Seiten, Routledge Focus, ISBN 9781032446806